Alle probieren sich gerade aus

„Alle probieren sich gerade aus“

Kim Le Roux und Margit Sichrovsky von LXSY Architekten widmen sich partizipativen und nachhaltigen Projekten.

Das CRCLR House im Impact Hub Berlin bauen sie kreislauffähig aus. Wir haben mit ihnen über Materialien aus Abrissen, Prototyping auf der Baustelle und New Handwerk gesprochen.

raumprobe: Wie definieren Sie kreislauffähige Materialien?

Margit Sichrovsky: Für uns stellen sich die Fragen: Woher kommt das Material? Wo wird es verbaut? Wie wird es behandelt, verklebt, verschraubt und eingesetzt? Wie kann man es wieder ausbauen? Und was macht man danach? Landet es auf der Deponie oder kann man einen Katalog erstellen, um zu wissen, was im Gebäude verbaut ist? Das alles ist natürlich verbunden mit einem Riesenaufwand. 

Kim Le Roux: Diese Fragen sind Teil des Prozesses, wenn wir uns auf Materialsuche begeben. Wir schauen bei Abrissen vorbei, machen Aufrufe bei Instagram oder rufen bei Tischlernden an. Wir schauen also, welche Materialien zur Verfügung stehen und suchen dann die passende Verwendung dafür. 


Bild: Margit Sichrovsky und Kim Le Roux haben sich während ihres Studiums an der TU Berlin kennengelernt. 2015 gründeten sie zusammen das Architekturbüro mit dem „unaussprechlichen“ Namen LXSY Architekten – eine Wortneuschöpfung aus den Anfangs- und Endbuchstaben der Nachnamen. „Mit unserer Arbeit wollen wir aktiv Menschen zusammenbringen, die den Austausch schätzen und gemeinsam neue Projekte und Perspektiven entwickeln.“ © Hannes Wiedemann

rp: Wie sind Sie dazu gekommen, zirkulär zu bauen?

MSY: Wir hatten im Rahmen unserer gemeinsamen Masterarbeit, einem Township-Projekt in Südafrika, mit gebrauchten Materialien gearbeitet. Das hat bereits unser Interesse für Zirkularität und auch partizipative Prozesse geweckt. In all unseren Projekten ist es uns ein Anliegen, einen positiven sozialen, aber auch ökologischen Impact zu generieren. Es geht uns darum, die zukünftigen Benutzenden mit ins Boot zu holen und auch zu diskutieren, was nachhaltig und ökologisch für sie bedeutet. In dem ganzen Prozess wollen wir aber auch die Gestaltung nicht aus den Augen verlieren. Gutes Design und Nachhaltigkeit stellen in unseren Augen keinen Widerspruch dar. Es geht also auch ohne den klischeebeladenen Öko-Touch.

KLR: Mit dem Kiezbett hatten wir Kreislauffähigkeit schon vor ein paar Jahren getestet. In Zusammenarbeit mit einem Sägewerk in Brandenburg haben wir regionales Holz verwendet und mit einer Inklusionswerkstatt gearbeitet. Außerdem wurde es in einer wiederverwendbaren Tasche ausgeliefert, die einfach wieder zurückgesendet werden konnte.

MSY: Dann kam das Impact Hub Berlin auf uns zu, mit dem Wunsch, die bestehende Lagerhalle der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln und deren Aufstockung zirkulär auszubauen. Das hat offene Türen bei uns eingerannt. Der Co-Working-Space für Sozialunternehmende hat einen sehr großen Anspruch an ökologische Bauweisen und soziales Miteinander. 


Bild: Auf 3.500 Quadratmeter wird der Impact Hub Berlin x CRCLR House Co-Working Platz für eine kollaborative Community bieten, die sich auf Circular Economy, Inklusion, nachhaltige Lebensmittel und grüne Technologie konzentriert. Rendering © LXSY Architekten

rp: Wie weit ist die Baubranche da bereits?

MSY: Es ist Bewegung drin. Viele Projektentwickelnde wollen sich mit uns darüber unterhalten. Auch auf Stadtentwicklungsebene wie hier in Berlin passiert viel, das sieht man etwa an Projekten wie dem Re-Use-Superstore im Karstadt oder das Haus der Materialisierung am Alexanderplatz. Oder privatwirtschaftlich an Materialbörsen wie Concular oder Trash Galore, mit denen wir auch zusammenarbeiten. Jeder probiert sich gerade aus. 

KLR: Die Handwerkenden sagen: „Kauft doch alles neu.“ Dann sage ich: „Ich habe jetzt aber dieses alte Material.“ Dann sagen sie: „Das kostet doch aber genauso viel, wenn wir das ausbauen, aufarbeiten und wieder einbauen.“ Dann sage ich: „Lasst es uns trotzdem machen.“ Gerade bei der Knappheit und den hohen Preisen von Material verändert sich die Haltung. 

rp: Was sind die größten Hindernisse?

MSY: Vor allem die Regularien. Das funktioniert nicht, weil für gebrauchtes Material keine Normen und Gewährleistungen vorhanden sind. Da braucht man eine sehr offene Bauherrschaft, die einen davon freizeichnen. Bei öffentlicher Bauherrschaft wäre das überhaupt nicht möglich. 

KLR: Wie umgeht man etwa die klassische Gewährleistung? Das ist gar nicht so kompliziert. Die Handwerkenden müssen nicht dafür geradestehen, sondern man redet mit einander. Oder man macht einen Wartungsvertrag, oder ich gebe die Gewährleistung auf eigene Faust, oder ich hole mir diese vom herstellenden Unternehmen. Aus dem CRCLR House im Impact Hub wird man lernen können, was gut funktioniert. Zu jedem Material, was wir einbauen, gibt es einen Steckbrief und eine Instruktion, wie man es ausbauen kann.

Bild: LXSY Architekten bauen über 100 Co-Working Desks, 25 Team-Büros, Maker Spaces, ein Café und ein Gewächshaus auf dem Dach nach zirkulären Prinzipien. Architekten der Aufstockung sind Die Zusammenarbeiter. Rendering © LXSY Architekten

rp: Wie wird das Zusammenspiel denn in Zukunft von Industrie, Handwerk und Architektur sein?

KLR: Es wäre schön, wenn die Industrie mit aufspringt. Es gibt so viele kleine Stellschrauben, um Materialien im Kreislauf zu halten: Kein Verschnitt etwa oder Second-Hand-Materialbörsen. Aus dem Neuen Museum in Berlin haben wir 60 Meter alter Vorhänge geholt, die weggeschmissen werden sollten. Bei einem Bürogebäude kamen wir zwei Wochen zu spät, da haben sie alle Büromöbel geschreddert. 

MSY: Die Industrie ist gefordert, das Design von Produkten und Systemen, der Logistik, aber auch der Zusammensetzung der Materialien zirkulär zu entwerfen. 

rp: Finden Sie Zertifikate hilfreich?

KLR: Im öffentlichen Bereich und für Projektentwickelnde ist das sicher sinnvoll. Persönlich bin ich kein großer Fan davon. Dann denkt man, man hat alles gemacht, was man machen sollte, ohne weiter nachzudenken. Ich glaube, wenn man eine Geschichte von einem Material erzählen kann, dann braucht man kein Zertifikat. Storytelling und Transparenz sind äußerst wichtig.

rp: Tauschen Sie sich dazu mit anderen aus? Kreislaufwirtschaft funktioniert ja interdisziplinär…

KLR: Die Leute haben einfach Lust auf was anderes. Wir machen zusammen mit den Architekturschaffenden, Planenden, Handwerkenden viele Workshops, etwa mit dem Hanfbaukollektiv, mit dem wir im Impact Hub Berlin Hanfwände bauen, mit Tuechtig zum Thema Barrierefreiheit oder mit der Lichtplanerin Sabine De Schutter, die uns zeigt, wie man alte Leuchten wieder in Gang bringt.

MSY: Wir haben das Glück mit TRNSFRM zu arbeiten. Sie haben sich als Kollektiv aus CRCLR heraus gegründet und agieren wie ein Bauträger. Für sie arbeiten selbstständige Handwerkende aus Holz- und Metallverarbeitung zusammen, eigenverantwortlich und nicht hierarchisch. Dadurch herrscht eine andere Stimmung. Das ist auch ein Thema für uns: Wie kann man New Work für Handwerkende anbieten? Wie bringt man junge Leute wieder ins Handwerk? Wie begegnen wir einander? Und nicht: „Da sind tausend Verträge und wehe du hältst die Gewährleistung nicht ein.“


Bild links und unten: Zusammen mit dem Impact Hub Berlin, CRCLR House, TRNSFRM und Baufachfrau Berlin haben LXSY Architekten im „Sustainable Building Workshop“ getestet, wie aus Altmaterialien nachhaltige und modulare Wandkonstruktionen entstehen können. © LXSY Architekten

lxsy-architekten_impact-hub-berlin_crclr-house_02_w123.jpg

rp: Wie verändert sich durch kreislauffähiges Bauen Ihre Praxis?

MSY: Beim zirkulären Bauen kann man nicht einfach so die Planungsphasen abarbeiten. Man weiß ja nicht, welche Materialien zur Verfügung stehen. Immer wieder verändern sich Werksplanung und Timing. Man macht viele Prozesse parallel.

KLR: In allen Phasen prototypen wir. Gerade testen wir alte Dielen und Theaterlatten für die Verkleidung von Telefonboxen. Nichtsdestotrotz haben wir eine klare Designrichtung. Und wir haben Regeln, wie wir Materialien aussuchen. An erster Stelle steht immer recyceltes Material. Dann kommt nachhaltiges Material. Und wenn wir uns das nicht leisten können, dann muss man es ausloten.

rp: Welche Vorteile und welche Nachteile gibt es dadurch für die Architektur?

MSY: Alles muss in einfachen Antworten zusammengebracht werden – Netzwerk, Menschen, Ökologie, Logistik, Lagerung, was auch immer. Die Komplexität des Themas ist Vorteil und Nachteil zugleich. Auf der einen Seite sehen wir es als positive Herausforderung an, für diese komplexen Fragestellungen neue Lösungen zu finden und Themen wie Netzwerk, Menschen, Ökologie, Logistik, Lagerung oder was auch immer zu verbinden. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber auch eingestehen, dass es nicht immer einfache Lösungen gibt. Das fordert uns heraus, Prozesse neu zu denken. 

KLR: Im Grunde zählt der Weg und nicht das Ergebnis.



Das Gespräch führten Martina Metzner und Jörg Schmitt im Rahmen des Materialreport 2022.

 

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