Vom Acker in die Wand

Vom Acker in die Wand

Nachwachsende Rohstoffe wie Hölzer, Gräser oder Tierhaare treiben die nachhaltige, zirkuläre Materialkultur voran – durch clevere Weiterentwicklungen, gänzlich neue Anwendungsfelder und Verfahren

 Hannes Bäuerle und Martina Metzner

Mit natürlichen, nachwachsenden Materialien baut(e) der Mensch seine Lebenswelt auf. Die ersten Behausungen, nachdem der Mensch seine Höhle verlassen hat, waren unter anderem Zeltkonstruktionen aus Tierhäuten. Mit Lehm errichtete Bauwerke überstanden dank regelmäßiger Pflege Jahrhunderte und alte Holzbauten beweisen bis heute, was der natürliche Baustoff im Stande zu leisten ist. Seitdem diese tradierten nachwachsenden Rohstoffe (NAWARO) durch die Industrialisierung in den Hintergrund rückten, erfahren sie nun mit Blick auf Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz eine wahre Renaissance – sei es der Lehm-, Holzbau oder leichte Zeltkonstruktionen. Dabei ist es keine reine Rückbesinnung, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung, die auch disruptiv erfolgt, wie die immer höher werdenden Holzhochhäuser eindrucksvoll veranschaulichen. Neue Verfahren und Zusammensetzungen, teils durch digitale Technologien, optimiert und rationalisiert, schaffen Werkstoffe und im Weiteren Bauwerke, die hochfunktional, spezifisch und gleichzeitig ausgesprochen ästhetisch-sinnlich wirken.

Neben den Klassikern schöpft insbesondere die junge Generation neues Potenzial aus einer Vielfalt von nachwachsenden Rohstoffen. Dabei handelt es sich teils um Roh- und Werkstoffe, die bislang noch nicht im Fokus der Bauindustrie standen. Aus Abfällen der Lebensmittelproduktion werden neue Beschichtungen oder Bindemittel gewonnen, Reste der Materialproduktion werden weiter verwertet, bis zu Rohstoffen, denen bisher keine Beachtung geschenkt wurde. Viele davon haben noch Forschungsstatus oder sind bislang nur ein Nischenprodukt. Was im privaten Entwicklungslabor gelingt, das sich teils in der heimischen Küche befindet oder durch engagierte Sammelaktionen gewonnen wird, lässt sich noch lange nicht großindustriell umsetzen. Der anstehende und überfällige Paradigmenwechsel zu einer neuen nachhaltigen und zirkulären Materialkultur wird das allerdings bald ändern. Schließlich sind die heute massenhaft eingesetzten Baustoffe auch nicht über Nacht entstanden, sondern haben teils jahrzehntelange Entwicklungszyklen hinter sich. Damit zu argumentieren, dass diese Studien noch nicht marktreif sind, wird diejenigen alt aussehen lassen, die zu spät erkennen, dass unsere Materialwelt durch die aktuell weitreichende Transformation völlig neu aufgestellt wird.


Bild: Vermischt mit Kalk kommt Hanf nun als nachwachsender Bauwerkstoff der Zukunft in Form von Platten und Ziegel zur Anwendung. © Maren Krings Photography 

Dämmen mit Gras

Besonders Pflanzen werden als Supernaturmaterial wieder und neu entdeckt, wachsen sie doch schnell, sind klimapositiv, biodivers, abbaubar und bieten noch nicht ausgeschöpfte Potenziale. Die Substrate und Fasern von Getreidepflanzen, Gräsern, bis hin zu Wurzeln oder Algen sind vielseitig einsetzbar, für Anwendungen im Innenausbau wie etwa Bodenbeläge, für Akustik, als Putze, Vliese oder Platten. 

Je mehr diese alten Kulturpflanzen wieder agrartechnisch angebaut werden, umso besser.  Ein Blick auf unsere heutigen Felder zeigt doch weltweit ein konträres, erschreckendes Phänomen – ein paar wenige Pflanzensorten dominieren als Monokulturen (Soja, Baumwolle, Mais & Co.) die Äcker unseres Planeten. Da ist es sicher nicht nur für die Bienen von Vorteil, wenn zukünftig wieder eine größere Vielfalt kultiviert wird. Einer der aktuellen Superstars in diesem Zusammenhang ist Hanf, der dabei ist, sein Image als Rauschmittel abzustreifen. Denn die Nutzpflanze verfügt über zahlreiche Vorteile in Produkten der Pharma-, Agrar- als auch Bauindustrie. Hanf ist sehr anspruchslos im Anbau, was Nährstoffe, Wasser und Klima anbelangt und bedarf keinerlei Pestizide oder Dünger. Die historische Kulturpflanze – in China wurde Hanf bereits vor 10.000 Jahren angepflanzt – wächst extrem schnell, mit vier Metern in 100 Tagen. Das ist circa fünf zigmal schneller als Holz. Außerdem sind daraus gewonnene Fasern oder Produkte reißfest, diffusionsoffen und resistent gegen Schädlinge. Neben der Beimischung in Putzen und Beton (Agrarbeton) werden die Erzeugnisse der Pflanze zu Hanffaserplatten sowie als Hanfziegel für nichttragende Wände verwendet (Claytec, IsoHemp, Schönthaler, von Hanf). Und in Kombination mit recycelten Stützfasern, die aus alten Kaffeebohnen-Säcken stammen, wird Hanf zum schimmelresistenten Rohstoff für Dämmplatten (Thermo Hanf).


Bild: Neptunbälle aus Seegras werden mittlerweile als 100 Prozent natürliche Gebäudedämmung eingesetzt. © Neptutherm

Daneben gibt es eine ganze Vielfalt an weiteren alternativen, nachwachsenden Trockenbau- und Dämmmaterialien, etwa die Blätter der Rohrkolbenpflanze (Typhaplatte), Schilfrohr (Hiss Reet) oder Stroh (iStraw). Und als natürlicher Abfall aus dem Meer stammen die Seegras-Bälle von Neptutherm, die als Dämmfüllstoff verwendet werden können und durch den hohen Salzgehalt von Natur aus brandhemmend sind.

Tiefer in die Experimentierkiste greift Baux aus Schweden, die für das Akustikmaterial Acoustic Pulp rein natürliche Ingredienzien aus den Resten von Kiefern, Tannen, Wachs, Weizen, Kartoffeln und Zitrusfrüchten mischen, um damit eine Alternative zu den meist erdölbasierten Akustikmaterialien zu bieten. Die Materialeigenschaften sind im Sinne von Biomimikry der Natur abgeschaut – vom natürlichen Holzversteinerungsprozess, Lotuseffekt oder von Bienenwabe.

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Bilder oben: Mit Myamo gibt es nun eine marktreife akustische AbsorberLösung, die aus Pilzen besteht. © Katharina Querba

Biomüll als Rohstoff

Hoch im Kurs stehen auch Materialien, die aus pflanzlichen Nebenprodukten sowie aus Agrar- oder Produktionsabfällen von beispielsweise Bananenpflanzen, Kaffeebohnen, Mais oder Reis aufbereitet werden. Im Moment vor allem in der Forschung zu finden, dürften sie bald in Anwendung kommen. Die Idee dahinter: Alles soll verwertet werden, nichts landet auf dem Müll. Etwa die Durchwachsene Silphie, die von OutNature als Zellfaserstoff für Papier und Kartonagen aufbereitet wird. Die Silphie Pflanze kommt als alternativer Rohstoff für Mais beim Betrieb von Biogasanlagen zum Einsatz, zu der die Faser vom Gärsubstrat getrennt und sonst weggeschmissen werden würde. Das Fraunhofer Institut UMSICHT bestätigt dem Papier eine bessere Ökobilanz als jenem aus Holzfasern, allein durch den hohen Flächenertrag.

Intensiv wird auch an Alternativen zu den aus fossilen Rohstoffen gewonnenen Kunststoffen geforscht. Gerade die jüngere Generation wendet sich bevorzugt rein natürlichen Grundstoffen zu, mit dem Ziel, kunststoffähnliche Materialien zu erzielen.

 

Bild im Header: Acoustic Pulp von Baux ist ein rein natürliches Akustikmaterial aus den Resten von Kiefern, Tannen, Wachs, Weizen, Kartoffeln und Zitrusfrüchten. © Baux



Lesen Sie den ganzen Beitrag im Materialreport 2022.

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