Plastik, ganz schön positiv

Plastik, ganz schön positiv

Interview mit Efrat Friedland von Positive Plastics

Eine Musterbox voller Materialien, die einen geringen Umwelteinfluss haben und guten Gewissens eingesetzt werden können – klingt das nicht gut? Positive Plastics hat das in die Tat umgesetzt. Mit 16 Mustern von unterschiedlichen Unternehmen zeigt die Box, was mit Materialien alles möglich ist. Und wenn doch noch Fragen offen sein sollten, hilft der QR-Code weiter. Von Recyclaten hin zu bio-basierten Materialien – wir sind positiv begeistert!

Wie kam es zu der Idee eine Mustersammlung aus “Positive Plastics” anzubieten?

Nachdem wir über 20 Jahre mit Gestaltenden zusammengearbeitet haben (und immer noch arbeiten), stellten wir fest, dass es ihnen an tiefgreifendem Verständnis für Materialien und Technologien mangelt. Oft wird von Designschaffenden erwartet, allwissend zu sein. Aber die Realität sieht anders aus und wir hatten das Gefühl, dass nur sehr wenige Gestaltende wissen, dass es derzeit Polymere mit geringerem Fußabdruck gibt. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden ein Kit zu entwickeln, das Post-Consumer-Rezyklate (PCR), Post-Industrial-Rezyklate (PIR), massenbilanzierte Kunststoffe, bio-basierte Kunststoffe und Bioverbundwerkstoffe enthält. Alle eignen sich für den Spritzguss zur Herstellung langlebiger Produkte wie Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräte, Sportartikel, Fahrzeuginnenausstattung, Accessories und ähnlichen Produkten. Die Idee entstand bei Pizza und Wein, als Erik Moth-Müller, Markus Paloheimo und ich uns Ende 2019 auf der K-Messe, der weltweit bedeutendsten Messe der Kunststoff- und Kautschukindustrie, in Düsseldorf trafen.

Wer hat die Idee initiiert und wer steckt hinter der Plattform?


Die Positive Plastics-Plattform, die Musterbox und die dazugehörende Website wurde von drei Personen initiiert und erstellt: der Münchener Materialberaterin Efrat Friedland (Materialscout), dem finnischen Produktentwickler Markus Paloheimo (Sytyte) und dem dänischen Designingenieur Erik Moth-Müller (Futation).

Die Muster haben eine ungewöhnliche Form. Was hat es damit auf sich?

Die Form wurde von einem der Mitbegründer von Positive Plastics, Markus Paloheimo, entworfen. Die Grundidee hinter der Form ist es, alle wichtigen mechanischen und optischen Eigenschaften eines Materials zu visualisieren. Wenn Interessierte bei einem Hersteller eine Probe eines Polymers bestellen, erhalten sie normalerweise ein flaches Stück in Kreditkartengröße. Das sagt nichts über das Material aus. 

Bei unseren Mustern können sie je ein 10 x 10 cm großes Muster in Händen halten und sehen, wie steif das Material ist, indem auf die Lasche in der Mitte des Materials gedrückt wird. Sie können sehen, wie Rundungen und Ecken aussehen, die verschiedenen Wandstärken und Entformungswinkel begreifen, sowie die Formschräge, fünf verschiedene Oberflächenbehandlungen und noch mehr erfassen. Diese Form der Muster hilft Designschaffenden, sich besser vorzustellen wie ein Material als Kopfhörer, Kaffeemaschine, Büroaccessoire usw. aussehen wird.

Wie sieht es mit der Farbigkeit der Materialien aus?

Generell gilt, dass Polymere auf vielfältige Weise eingefärbt werden – und somit viele Farbtöne erzeugt werden können. Der Grundfarbe des Materials können Farb-Masterbatches, Additive und Pigmente zugesetzt werden. Jede Art von Polymer hat eine natürliche Farbe. Es kann transparent, gelblich, weiß oder sogar grau sein. Wir haben die meisten Materialien im Kit in ihrer natürlichen Farbe belassen, um Gestaltenden den Rohzustand zu zeigen. DuraSense zum Beispiel ist ein Verbund aus Holzfasern und Polypropylen und ist bräunlich mit sichtbaren Fasern. 

Wir wollten jedoch auch nicht mit einer komplett schwarzen Materialsammlung enden, also haben wir auch die Farbpalette kuratiert. Wir führen immer einen offenen Dialog mit den teilnehmenden Unternehmen, um die beste Farbe auszuwählen. Entweder mischen die Unternehmen den Farbton im eigenen Haus und verschicken das eingefärbte Material fertig zur Verarbeitung (Spritzguss) oder wir experimentieren selbst mit Farbzusätzen mit unserem Verarbeiter in Finnland. 

Positive Plastics Sample_3_w.jpg

Wie gelangen Interessierte zu mehr Informationen zu den einzelnen Materialien?

Jedes Materialmuster ist mit einem Etikett versehen, gedruckt auf Papier aus 50 % Hanffasern. Dieses Etikett gibt bereits einige Informationen über das Material preis: den Namen und die Art des Materials (bio-basiert, recycelt usw.), eine kurze Hintergrundinformation und Symbole, die mögliche Anwengungsbereiche aufzeigen. Wenn weitere Informationen oder technische Daten benötigt werden, gelangen Interessierte über einen QR-Code auf die entsprechende Materialkarte auf der Homepage von Positive Plastics. Dort sind die mechanischen Eigenschaften, Umwelteigenschaften, ästhetische Eigenschaften, Verarbeitungs- und Anwendungsmöglichkeiten und ein Formular zur direkten Kontaktaufnahme mit dem herstellenden Unternehmen zu finden.

Gibt es bereits Produkte aus den Materialien, die in der Box enthalten sind?


Es gibt bereits viele Produkte aus den gezeigten Materialien. Diese sind auf unserer Website unter den jeweiligen Materialkarten zu finden.

UPM Formi EcoAce wird z.B. für das gesamte Gehäuse einer Sodamaschine des finnischen Unternehmens Mysoda verwendet. Agriplast wird für Kosmetikdosen und Kleiderbügel verwendet. Altech PA66 Eco findet sich in Automotoren. Borcycle PP wird für Gehäuse von Küchenmaschinen und Haartrocknern verwendet.

Selbst die Verpackung ist ein positives Anwendungsbeispiel, bei dem ein nachwachsendes Material gewählt wurde. Die Haptik ist interessant und wirft die Frage auf: was ist das?

In der Tat! Für uns war es wichtig, dass auch die Verpackung einen geringen Fußabdruck hat und wir Gestaltende dadurch an ein anderes Material heranführen können. In diesem Fall haben wir uns entschieden die Verpackung aus Mycelium zu erstellen. Myzel ist die Masse verzweigter, röhrenförmiger Zellen von Pilzen, die auch als Hyphea bekannt sind. Wenn wir das Myzel mit einer Pflanze vergleichen, ist es das Wurzelsystem, während der Pilz die Blüte ist. Myzelien können sich auf einer Vielzahl von organischen Substraten ansiedeln. Es ist ein weitläufiges, unendlich erneuerbares, verflochtenes Netz, das sich durch Erde, Pflanzen und andere Bäume zieht. 

Grown, ein Unternehmen in den Niederlanden, erstellte Formen gemäß den CAD-Dateien der von uns entworfenen Schalen und füllte sie mit Reis- und Weizenschalen (Landwirtschaftsabfälle). Dann wird die Biomasse mit dem Myzel besprüht, welches innerhalb weniger Tage auf der Masse wächst. Der Wachstumsprozess kann durch Backen der Formen in einem Ofen bei niedrigen Temperaturen fixiert werden. Am Ende der Nutzung kann jede Form aus Myzel in Stücke gehackt und auf dem Boden verteilt werden, wo es den Prozess der Kompostierung beginnt.

Gibt es ein Produkt, das ihr gerne aus den Positive Plastics produzieren würdet?

Obwohl es vor weniger als einem Jahr auf den Markt kam, kennen wir bereits mehrere in der Box enthaltene Materialien, die von Marken getestet wurden um festzustellen, ob sie als Ersatz für neue Polymere in ihren Produkten geeignet sind. Das ist super spannend für uns und genau das, was wir erreichen wollen: Matchmaking zwischen tollen Materialien und tollen Produkten. 

Wir zielen nicht auf eine bestimmte Branche ab, sondern würden gerne die Materialien von Positive Plastics in Automobilinnenräumen, Haushaltsgeräten, Unterhaltungselektronik und medizinischen Geräten sehen. Eine intelligente Anwendung dieser Materialien in Produkten, die jahrelang halten und unser Leben verbessern, ist das, was wir gerne sehen würden.

Positive Plastics Sample_1_w.jpg

Ist eine Erweiterung oder sogar eine weitere Box in der Zukunft geplant?

Wir wünschen uns, dass Positive Plastics wächst, denn es werden immer neue Materialien entwickelt. Es ist auch sehr wichtig zu verstehen, dass wir in keiner Weise sagen, dass die im Kit enthaltenen Materialien die einzigen oder die besten Kunststoffe sind, die es gibt. Daher sind wir permanent auf der Suche und in ständigem Austausch mit kunststoffherstellenden Unternehmen. Unser Ziel ist es, jedes Jahr eine neue Box mit einer Auswahl von bis zu 20 Materialien vorzustellen – alles im Handel erhältlich. Derzeit arbeiten wir am Positive Plastics Kit Nr. 2, das im Oktober 2022 auf den Markt kommen wird. Der Soft-Launch findet auf der K2022, der größten Kunststoffmesse der Welt, statt. Die offizielle Markteinführung erfolgt im November auf der Greener Manufacturing Show in Köln.

Material, das Ihr braucht

100 % bio-basierte, lokal bezogene Polymere, die Hochleistungsmaterialien ersetzen können.


Material, das Euch bewegt 

Selbstheilende Polymere


Material, von dem Ihr träumt

Polymere, die ihre Eigenschaften auch nach Hunderten von Recyclingzyklen beibehalten.

Positive Plastics zielt darauf ab Gestaltenden, Ingenieuren und Produktmanagenden eine positivere Sicht auf Kunststoffe zu vermitteln. Die Plattform ist ein Werkzeug für Materialverständnis und Kommunikation zwischen nicht-technischen und technischen Teammitgliedern. Die gründenden Personen, alle mit Expertise, in der Beratung tätig und lehrend auf dem Gebiet der Materialien und Polymere, haben eine Mustersammlung innovativer, kommerziell erhältlicher Polymere erstellt.


Die Personen dahinter sind: 
Efrat Friedland, Erik Moth-Müller, Markus Paloheimo



Positive Plastics Oy

Karl Fagerlundin tie 3b
10300 Karjaa
Finland

» Mehr zu Positive Plastics

Entdecken Sie weitere Magazinbeiträge!

Magazin
Materialreport 2022 - Trendcollage NOURISH
Um in Ruhe zu kommen, in Balance zu sein und die innere Mitte zu finden, brauchen wir Materialien, die uns nähren und uns in Beziehung setzen. Wasser, Erde, Steine, Pflanzen und Bäume geben uns das Gefühl des Urvertrauens zurück. Zudem wächst angesichts der Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätskrise die Sehnsucht nach sinnlichen Erfahrungen mit und in der Natur, da wir dabei sind, sie zu verlieren.
Magazin
Vom Acker in die Wand
Nachhaltige, zirkuläre Materialkultur
Magazin
Materialien von Gestern
Starkes Revival
Magazin
Es ist schön, Dinge wachsen zu sehen
Aus Stoffen, die nicht mehr gebraucht werden, gestaltet Simone Post faszinierende Teppiche – voller Farbe und Lebensfreude