Materialien von Gestern

Materialien von Gestern

Starkes Revival

Wie unsere Welt in jeder Hinsicht eine immer komplexere wird, so lässt sich das auch auf die Welt der Materialien übertragen. Innovationen werden entwickelt, bestehende Materialien recycelt, alte Materialien wiederentdeckt. Dieser Beitrag, gibt Einblick in uns bekannte Materialien, die bereits seit der Antike als Baumaterial Verwendung finden, historischen Hintergrund haben oder im aktuellen Zeitgeist wiederentdeckt worden sind – und kann dabei natürlich nur einen kleinen Ausschnitt preisgeben.

Vielen dieser Materialien ist dabei gemein, dass sie natürlichen und nachwachsenden Ursprungs sind. Mit ihnen baute der Mensch seine Lebenswelt auf. Durch Industrialisierung und Innovationen gerieten sie in Vergessenheit, neue Materialien drängten in den Vordergrund. Dann kam die Not und machte erfinderisch, das war schon immer so. Diese Not drückt sich mit aller Deutlichkeit in den klimatischen, kaum mehr aufzuhaltenden Veränderungen aus, die mittlerweile jegliche regionale und weltpolitische Agenda bestimmen. Die Menschheit fängt an sich zu besinnen und blickt zurück: auf die Materialien von gestern. Und so erleben – mit Blick auf Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz – bewährte Verfahren wie zum Beispiel Lehm- und Holzbau eine wahre Renaissance.

Mit dem Bewusstsein, dass die Baubranche in der Transformation zu einer nachhaltigeren, lebenswerteren Welt eine bedeutende Rolle spielt, greift der Materialreport 2022, unsere aktuelle Ausgabe des Fach- und Trendmagazins, diese täglich diskutierten Themen auf und widmet sich dem Fokus Kreislaufwirtschaft. 

Bild: Wandverkleidung in Cudicio Pietra Piasentina mit feinen Steinadern von K.S.V. Biberach
©  K.S.V. Biberach

Lehm und Kalk – historische Putze und Techniken

Beginnen wir mit Lehm und Kalk, die als mineralische, anorganische Bindemittel in Fassaden- und Innenputzen verwendet werden. Aufgrund der Tatsache, dass Lehm geografisch weit verbreitet und darüber hinaus leicht verfügbar ist, sind Lehmputze so alt wie das Bauen selbst. Während Putze und die Vielfalt an Oberflächentechniken wie Kellenschlagputz, Filzputz und Besenstrich zu Beginn des 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten, erfahren sie nicht nur zuletzt ihrer Individualisierungsfähigkeit ein starkes Comeback: an der Fassade, aber vor allem auch bei Anwendungen im Innenraum. Das ist vor allem an den baubiologischen Eigenschaften gelegen, denen immer mehr Bedeutung beigemessen wird: Das Naturmalterial kann ohne gesundheitsbeeinträchtigende Zusatzstoffe verwendet und so bedenkenlos in den Kreislauf zurückgeführt werden.

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Seit jeher legt das schwäbische  Familienunternehmen Dracholin großen Wert auf Umweltschutz und natürliche Rohstoffe wie sie für den offenporigen und hoch wasserdampfdurchlässigen Creando Lehmputz verwendet werden. Aufgrund seiner Zusammensetzung kann er binnen kurzer Zeit relativ viel Luftfeuchtigkeit aufnehmen und diese nach Bedarf wieder abgeben. Somit trägt er zu einem gesunden Raumklima bei. Im wahrsten Sinne ausgezeichnet – und zwar mit dem Materialpreis 2020 – ist die Kollektion Wand 20 Schatten von Farbrat eG. Die in sehr dunklen und schattigen Farbnuancen gehaltene, mineralische Wand- und Deckenbeschichtung unterstreicht die vielfältigen Möglichkeiten der Gestaltung und Inszenierung handwerklich gearbeiteter Putzoberflächen.

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Emaille – vom Schmuck zum Schutz

In Innenarchitektur und Produktdesign zeugen Emaille-Oberflächen von einer Technik von gestern, die an Qualität und Attraktivität in keinster Weise verloren haben. Ein kleiner Rückblick: Als älteste Emaillearbeit gilt ein 3.500 Jahre alte Grabbeigabe auf Zypern, ihre Hochzeiten erlebte die Emailletechnik zur Zeit der Kelten und unter Erzbischof Egbert von Trier, der eine der bedeutendsten Goldschmiede-Werkstätten der ottonischen Zeit gründete. Als Schutzfunktion von Alltagsgeräten, säurebeständigen Behältern oder Werkzeugen wurde Emaille erstmals im 19. Jahrhundert angewendet. Heute wird zwischen Glas- und Metall-Emaillierung unterschieden.

Besonders im Sanitärbereich findet Metall-Emaillie nach wie vor große Beachtung: die Oberfläche, ein fest haftender, anorganisch-oxidischer Überzug, der im Nassverfahren in einer oder mehreren Schichten auf Metall (Guss, Stahl oder Edelstahl) aufgetragen wird, erweist sich resistent gegen chemische oder thermische Beanspruchung. Darüber hinaus ist der Verbundwerkstoff dauerhaft korrosionsgeschützt und elektrisch isolierend. Die aus zu 100 Prozent kreislauffähiger Stahl-Emaille gefertigte Duschfläche Superplan Zero von Kaldewei kann auf Wunsch zudem mit der nahezu unsichtbaren, rutschhemmenden Oberflächenveredelung Secure Plus versehen werden. Das herstellende Unternehmen hochwertiger Badlösungen produziert seine Stahl-Emaille und die daraus gefertigten Produkte zudem an ein und dem selben Standort, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit.

Bild: Großformatige Duschfläche aus nachhaltiger Stahl-Emaille Superplan Zero von Kaldewei ©  Kaldewei

Naturstein – in Stein gemeißelte Bearbeitungstechniken

Mit Materialien von gestern, die lange zu Klassikern der Branche avanciert sind, kehren auch fast verlorene, tradierte Handwerkstechniken wie das Steinmetzhandwerk zurück, das durch Funde in Frankreich bis auf die Altsteinzeit vor ca. 40.000 Jahren zurückgeführt werden kann. Gerade im Zeitalter der Individualisierung erlangen diese Oberflächenbearbeitungen wieder große Bedeutung. Ob gespitzt, gebeilt, scharriert, oder gestockt, die Verfahren ermöglichen auf der bearbeiteten Steinoberfläche ein Relief von einem Millimeter bis zu einigen Zentimetern. Der Naturstein behält dabei seine archaische Ausstrahlung. Gerade beim Rißegger Nagelfluh der K.S.V. Biberach GmbH & Co. KG zeigt sich diese anmutende Kraft auf beeindruckende Weise. Mehr noch, durch die mechanische oder chemische Verfahrensweise können gerade Bodenbelägen rutschhemmende Eigenschaften zugeführt und weitere Anwendungsbereiche generiert werden.

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Historische Bodenbeläge

Bleiben wir bei Bodenbelägen und Naturstein. Als Klassiker schlechthin, schafft es Terrazzoboden wie kaum ein anderes Material, dem ihn umgebenden Raum Atmosphäre einzuverleiben und Attribute wie Zeitlosigkeit, Eleganz, Souveränität, Ansehen zu vermitteln. Seine Qualität, entstehende Patina, ja selbst Risse, die im übrigen keinesfalls negativ konnotiert sind, sondern zusätzlich Authentizität, Materialechtheit und -gereichtheit ausdrücken, bezeugen dem Material seine nachhaltige Langlebigkeit. Die fugenlosen Böden, für deren Zuschlag Reste von Natursteinen Verwendung finden, werden an Ort und Stelle hergestellt und bearbeitet.

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Nicht im klassischen Sinne historisch, vielmehr angestaubt war lange Zeit die Assoziation zum Thema Linoleum. Im Zeitalter der Nachhaltigkeit wurde der Bodenbelag über Nacht zum angesagtesten aller Materialien. Kaum ein Material vereint die Aspekte der Nachhaltigkeit so gut, und dass, ohne spezifisch dafür entwickelt worden zu sein. So besteht der Gerflor DLW Linoleum zu 98 Prozent aus organischen oder mineralischen Rohstoffen wie Leinöl, Holzmehl, Kalkstein, Jute und Harz, 80 Prozent sind nachwachsend. Zudem ist Linoleum zu 100 Prozent wiederverwertbar. Das macht den fußwarmen Bodenbelag natürlich (und) besonders umweltfreundlich.

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Als altbewährtes Naturmaterial muss dieser Artikel auch auf Holz eingehen, wahrscheinlich das Bau- Gestaltungsmaterial schlechthin. Von der Konstruktion mittlerweile ganzer Hochhäuser bis zum Produktdesign und Modeaccessoire sorgt es in innenräumlicher Anwendung wie kaum ein anderes Material für ein Raumgefühl voller Geborgenheit. Für die Echtholzdiele Antiqueline Aengeli von Schotten & Hansen wurde tatsächlich über 100 Jahre altes Eichenholz verwendet. Es scheint als würde die expressive Oberfläche mit ihrer markanten Maserung und den hervorgehobenen Ästen stolz davon erzählen.

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Uns von raumprobe als Auslober des Materialpreis 2022 und meiner Wenigkeit als Projektleiter ist es mit der Kategorie Klassiker ein großes Anliegen, das Sendungsbewusstsein, das von traditionellen Materialien und tradierten Ver- und Bearbeitungsmöglichkeit ausgeht, zu intensivieren und mit diesem Rückblick im Sinne der Nachhaltigkeit und Diversität, jede Menge Inspiration und Bewusstsein schaffen.


Jörg Schmitt


Innenarchitekt Jörg Schmitt ist seit 2013 als Projektleiter für den Materialpreis zuständig. Mit seiner Zuständigkeit für Art Direktion, Öffentlichkeitsarbeit und Homepage, wendet er sich zudem mit dem Materialnewsletter an die zahlreichen Mitglieder und Interessierten von raumprobe und führt Besuchergruppen durch die Materialwelt. Darüber hinaus ist der Innenarchitekt auch beratend tätig.

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