Let‘s move together

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Nach längerer Zeit im Remote-Modus werden die Qualitäten des Büros sichtbar. Gleichzeitig wird das Daheimbüro aufgewertet. Flexible, nachhaltige, resiliente und wertige Materialien formulieren die Transformation mit 

Hannes Bäuerle und Martina Metzner

Headerbild: Für Phoenix Real Estate realisierte die Ippolito Fleitz Group eine Bürofläche mit Dschungelelementen, die Leuchtschriften von Songs tragen. © Zooey Braun

Wir stecken mitten in einem riesigen Sozialexperiment: Während in den vergangenen Jahren Arbeitsorganisation und -räume auf Gemeinschaft und die direkte menschliche Begegnung getrimmt wurden, erleben wir nun seit einiger Zeit das Gegenteil: Die räumliche Trennung von jenen, mit denen wir uns austauschen, mit denen wir gemeinsam neue Ideen spinnen und uns weiterentwickeln wollen. Konzepte wie Agiles und Mobiles Arbeiten werden nun für reine Büroarbeit in großem Stil umgesetzt. Diskutiert werden nicht nur organisatorische wie auch raumprogrammatische Änderungen, sondern auch die geeigneten Materialien dafür. Wir haben uns für den Materialreport 2021 Fokus Arbeitswelten daher mehrere Fragen gestellt: Welche Materialien und Ausstattungen fördern eine hybride Arbeitswelt im Remote-Modus? Durch welche Materialien lassen sich auch im Home Office Gesundheit und Kreativität fördern? Und weshalb sollten sich Planende und Unternehmen generell mit Materialien für Arbeitsumgebungen auseinandersetzen?

Das Büro bleibt

Die Frage, „Is the Office dead?“, die die Gemüter gleich zu Beginn beschäftigte, lässt sich nach ein paar Monaten im Remote-Modus gut beantworten: Nein, das Büro ist noch lange kein Auslaufmodell! Mobiles Arbeiten funktioniert mal mehr, mal weniger. Vor allem fehlt etwas Wesentliches: Der zwischenmenschliche Faktor. Und der ist für viele Dinge entscheidend. In diesem Sinne melden sich zunehmend kritische Stimmen. Etwa Cal Newport, Wissenschaftler an der Georgetown University und Autor des Klassikers Deep Work. Newport sagt, Remote Work sei nicht effizient, wenn die informelle Interaktion fehle.
Bild: „Un bureau a rendez-vouz avec un pavillon“ nennt die französische Designerin Matali Crasset ihren Tisch, dessen Aufsatz von einem Grammophon inspiriert ist. © Matali Crasset

 

      Durch längere Zeit im Remote-Modus hat sich jeder selbst von den vielen Vorteilen überzeugen können, die das zentrale Firmenbüro mit sich bringt: Das Büro ist der Ort, an und in dem Unternehmenskultur gelebt und vermittelt wird; hier wird Vertrauen aufgebaut. Indem man das direkte Miteinander, auch im viel zitierten Plausch an der Kaffeebar, kultiviert. Digital ist Unternehmens-kultur und das davon abgeleitete Design eben nur schwer vermittelbar. Das Büro bleibt damit unersetzbar. Sollten wir also, anstatt uns auf die Frage der Quadratmeterzahl zu fokussieren, nicht lieber diskutieren, wie flexibel, digital, nachhaltig und wertig die neuen Arbeitswelten gestaltet werden können, um den zukünftigen Anforderungen zu genügen? Vor allem die Frage nach Wertigkeit scheint entscheidend. Der Zweck des Büros wird sich in Zukunft demzufolge immer stärker weg von reiner Produktivität hin zu Social Purpose verlagern.

 

                Wie das Büro in Zukunft ausschauen kann, dazu bilden sich Tendenzen heraus. Demnach werden Flächen für die Co-Kreation, also die gemeinschaftliche, kreative Arbeit, ausgebaut, denn 80 Prozent der wirklich innovativen Ideen entstehen in der direkten, persönlichen Kommunikation, wie auch eine Studie des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) belegt. Zonen für Einzel- oder Gruppen-Videocalls werden wichtiger. Auch Räume, die sich flexibel den Anforderungen, Gruppengrößen, Mietern, Bedürfnissen anpassen lassen, werden mehr und mehr zum Standard. Auf der anderen Seite führt die stärkere mobile Arbeit zwangsläufig dazu, weniger feste Einzelarbeitsplätze anzubieten.

Kollaboration und Identität

Welche Materialien fördern die Gestaltung dieser neuen Arbeitswelten? Da sind sich die Expertinnen und Experten ebenso einig: Sie sollten hybrid und flexibel, nachhaltig, wertig und vor allem resilient sein. Themen wie Hygiene-schutz und Gesundheit stehen in Zeiten von Covid-19 ganz oben auf der Prioritäten-Liste. Fast schon haben wir vergessen, dass das Thema Gesundheit die Entwicklung der Architektur der klassischen Moderne wesentlich vorangetrieben hat. Konzepte wie die Integration von Wohnlichkeit bleiben gültig, werden aber angepasst. Insgesamt steigen die Anforderungen an Funktion, Ästhetik und Qualität von Materialien. Dies betont auch Alexander Fehre, Innenarchitekt aus Stuttgart, der vor allem Aufenthaltsqualität und Nachhaltigkeit für entscheidend hält. 
Bild: Formafantasma haben für Ore Streams elektronische Abfälle zu Möbel wiederaufbereitet.  © Formafantasma

Hygieneschutz weit oben

So schnell wie die Krise kam, so schnell haben Menschen mit räumlichen Hygieneschutzmaßnahmen reagiert. Zu Beginn musste das ästhetisch gut ausgebildete Auge oft wegschauen bei Sicherheits-Klebestreifen auf dem Boden, rein funktionalen Desinfektions-Displays oder bei den vielfältigsten Plexiglasabsperrungen, die völlig rudimentär zusammengezimmert waren. Leider blieben diese dann doch über die temporäre Lösung hinaus für längere Zeit in Geschäften, Läden, Restaurants. Erst mit einem halben Jahr Verzögerung kamen gut gestaltete Hygieneschutz-Produkte auf den Markt. Als besonders praktisch haben sich aufbaubare, modulare Paneele und Paravents erwiesen, die als Physical-Distance-Systeme fungieren und ad hoc in die Büros eingezogen sind. Disco von Kinzo, ein farbig-transparentes First-Aid-Kit, das auf alle gängigen Tischformate und -typen passt, ist dafür nur ein Beispiel.

 

                Smarte Materialien tragen auch zu einer gesteigerten Hygiene bei – etwa der automatische Türöffner, der den direkten Hautkontakt vermeidet. Dreht man das Rad noch weiter, so landet man bei Systemen und Materialien, die antibakteriell oder antiviral wirken beziehungsweise sich gut reinigen lassen. Neu in diesem Zuge sind Systeme, die Funktionen wie eine Filteranlage mit Akustikschutz vereinen. So etwa das System Calina Desk, das UV-C-Filtertechnologie zur Desinfektion der Luft mit recyceltem Filz von Nitona kombiniert. Darüber hinaus gibt es viele individuelle, kreative Lösungen. So hat das international agierende Immobilienunternehmen Cushman & Wakefield unter jeden Arbeitsplatz einen runden Teppich gelegt, der die Schutzzone sichtbar markiert. Obendrein fängt es an zu piepsen, sollten sich Mitarbeitende unter sechs Fuß (knapp zwei Meter) nähern.
Bild: Nach dem Prinzip der Steckblumen lassen sich beim Hygieneschutz von Clikclax die transparenten Scheiben aus Perspex zusammenstecken. © Clikclax

Flexibel, nachhaltig, resilient

Wer bereits ein flexibel zu möblierendes Büro hat, wie der Schweizer Designer Stephan Hürlemann mit seinem Dancing Office und seinen verschiebbaren, multifunktionalen Raummodulen mit technischen Features, der kann auf die geänderte Situation intuitiv reagieren. Für alle anderen gilt: Flächen für Konzentration, Kommunikation oder Teamarbeit müssen so gestaltet sein, dass die Mitarbeitenden in kürzester Zeit Umstellungen und Anpassungen vornehmen können. Materialien und Produkte wie das Xbrick-System aus flexibel zusammensteckbaren, leichten Kisten aus Polypropylen und weiteren Features wie tragbare Whiteboards von Westermann sind wie dafür geschaffen, neue Raumsituation im Handumdrehen zu kreieren.

 

Natürlich bilden technische Ausrüstungen und moderne Kommunikationstechnologien das A und O für die neuen Arbeitsweisen. Doch das alleine reicht nicht. Die Gestaltung der Schnittstelle von analogem und digitalem Raum, also die Frage, wie optimal unterstützt der analoge Raum meine digitalen Tätigkeiten und umgekehrt, scheint drängend. Zumal man davon ausgehen kann, dass künftig kaum ein Ort im Büro mehr ohne digitale Schnittstelle auskommt. Bislang fehlen hier aber wirklich gute Ansätze.
Bild: Den Co-Kreation-Raum der Urban Spaces in Stuttgart, gestaltet von Studio Komo, machen die Hocker Xbrick und das Whiteboard Flomo von Westermann flexibel gestaltbar. © Philip Kottlorz

Bei aller Diskussion um die Pandemie und dem Ruf nach noch mehr Flexibilität: Immer stärker stehen viele Projekte unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit. Denn dieses Argument wird immer wichtiger, wenn Kundinnen und Kunden aber auch Mitarbeitende die Unternehmen und Angebote immer stärker nach Werten wie soziale Verantwortung und Umweltschutz auswählen. Parallel dazu wird die Fülle an nachhaltigen Materialien, die unter anderem recyclebar, ressourcenschonend oder klimaneutral sind, immer größer. Entsprechend erweitert raumprobe das Angebot seit einiger Zeit stark, um dieser Entwicklung gerecht zu werden. Unternehmen sind gut beraten, die neuen Trends in ihre Kultur zu integrieren und in ihren Räumen widerzu-spiegeln, denn sie werden keine kurzzeitige Modeerscheinung bleiben. In diesem Zuge, aber auch unter dem Aspekt der gerade in diesen Zeiten wichtigen Regeneration, wird Biophilic Design immer bedeutender, also Bepflanzungen ganzer Wände in Innenräumen. Denn die Sehnsucht nach Naturerfahrung in einem zunehmend digitalen Alltag wird stärker.

Wir werden uns also in Zukunft noch viel stärker mit Wohlfühl-Materialien im Büro beschäftigen müssen, wenn das Büro attraktiv sein soll. Nicht mehr HPL, Nadelvlies, Stäbchenparkett, Rasterdecken oder Lammellenvorhänge, sondern statt dessen Akustikfilze, Holz in all seinen Arten, Textilien mit einer weichen, strukturierten Haptik, echte Pflanzen oder abgepasste Teppiche stehen dann auf dem Programm. Auch Farben jenseits von Schwarz-Weiß-Arbeitswelten signalisieren: Hier wird nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt. 
Bild unten: Eine Box als Haus im Haus für Büro- und Meeting-Räume gestalteten LXYS Architekten für den Co-Working-Hub in Berlin.  © Anne Deppe

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Home Office wird aufgewertet

Wenn nun auch das Home Office oder die viel zitierten lokalen Hubs, die in der Nähe des Wohnortes einen Büro-Satellit abbilden, zum vollwertigen Arbeitsplatz werden, sind dementsprechend auch Planende zukünftig stärker gefordert, gutes Arbeiten im Daheimbüro zu ermöglichen. Konkret heißt das: Es sollte dafür gesorgt sein, dass der Mitarbeitende zuhause über einen adäquaten Schreibtisch, einen ergonomischen Bürostuhl, über ein gutes Laptop, Cloud Working-Software, Videokonferenztools und schnelles WLAN verfügt. Produkte und Mobiliar, die der optimalen Geräuschabschirmung dienen, sollten unbedingt bedacht werden. Nicht zu vergessen: Natürliche und qualitativ hochwertige Materialien mit guter Haptik tragen auch daheim zu Produk-tivität und Wohlbefinden bei. Spätestens, wenn ein Telearbeitsplatz fest eingerichtet wird, greift außerdem die Arbeitsstättenverordnung.

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann man sich natürlich auch in puncto Home Office Gedanken machen über die visuelle Unternehmens-Identität, sprich Branding – und damit sind wir beim Hintergrund, den man bei den Videokonferenzen sieht. Das Fenster ins Private oder ein lustiger virtueller Hintergrund mit Palmen und Strand waren zu Beginn der Pandemie vielleicht noch spannend oder witzig, mittlerweile freuen wir uns, wenn uns – wie im Büro – auch die Gestaltung an unserem mobilen Arbeitsplatz zu unseren Aufgaben inspiriert, uns fokussieren lässt und deutlich signalisiert, um was es hier geht. Nicht nur hier sind Planende gefragt, wesentliche Eckpunkte der Zukunft von Arbeit mit zu formulieren.
Bild links: Dieser Klinkenaufsatz von Rosconi lässt sich mit dem Ellenbogen drücken. © Designfunktion
Bild unten: Die Molo Softwall ist ein flexibler, freistehender Raumteiler aus Kraftpapier, der ausgezogen werden kann und durch die zellenförmige Wabenstruktur schallabsorbierend wirkt. © Molo

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Diesen und weitere spannende Beiträge finden Sie im Materialreport 2021. 

Mehr Informationen zum Trendmagazin von raumprobe finden Sie »hier

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