Materialien mit Hospitality-Charakter wirken magnetisch

Materialien mit Hospitality-Charakter wirken magnetisch

Interview mit Kinzo

Ob mit Projekten für die Erste Bank, Zalando oder Soundcloud: Das Berliner Büro Kinzo gehört mittlerweile zur Spitze der Gestalter für Arbeitswelten in Europa. Wir haben mit den Geschäftsführern Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton über den Impact von verstärkter Remote Work, die Bedeutung des Büros als Kulturort und Materialien gesprochen, die diese neuen Szenarien unterstützen.

Corona hat die Welt auf den Kopf gestellt: Wir arbeiten vermehrt von zu Hause, wir leben auf Distanz, wir befinden uns im permanenten Ausnahmezustand. Speziell für die Arbeitswelt: Welche Entwicklungen bewerten Sie positiv, welche nicht?

Karim El-Ishmawi: Das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Ein Szenario der agilen Arbeit, das durch Corona eine Turbo-Beschleunigung erfahren hat: mehr Bewegung hineinbringen und territoriale Besitzansprüche auflösen. Seitdem ist digitale Kollaboration kein Problem mehr. Aber was auf der Strecke bleibt, ist der ganze informelle Teil, das Netzwerken mit den Kollegen, das ein Büro auch auszeichnet. Man kann eben nicht dem Vorgesetzten schnell sagen: „Du, ich habe da mal eine Idee.“

Martin Jacobs: Remote Work führt dazu, dass man sich bewusster für den Zustand Arbeiten entscheiden muss. Das ist ja viel weniger ortsgebunden. Arbeiten ist im Homeoffice immer und jederzeit möglich. Das heißt, ich muss mich geistig auf das Thema Arbeit einstellen, einen Schalter umlegen. Man muss sich den Arbeitsplatz bewusster wählen: Was habe ich heute zu tun? Was brauche ich dafür? Wo mache ich das am besten? Welche räumlichen und technischen Begebenheiten passen am besten dazu? Dies setzt auch Räume frei, die bislang als so genannte Standard-Arbeitsplätze definiert sind.


Bild: Im Co-Working-Space Amore Pacific in Seoul versprühen industrielle Materialien im Kontrast zu üppigen Pflanzen eine Atmosphäre wie im Künstleratelier. © Schnepp-Renou

Helfen gewisse Materialien, den Schalter umzulegen?


KE: Vor allem ist die digitale Schnittstelle wichtig, die es ermöglicht, dass ich mit meinem Minimalequipment, Smartphone oder Laptop, von zu Hause oder im Co-Working Space arbeiten kann.

MJ: Es ist eine atmosphärische Frage: Wo fühlt man sich wohl? Das Licht muss stimmen, der Stuhl darf nicht zu unbequem sein. Optimalerweise schaffe ich einen Hintergrund, der akustisch wirkt, ein textiles Raumgefühl wiedergibt wie ein Paravent und der nicht den Blick freilässt auf das ungemachte Bett.

Die Büros sind bereits flexibel gestaltet. Welche Flexibilität muss durch verstärkte und absehbare Remote Work eingebracht werden?


Chris Middleton: Die prozentuale Verteilung bestimmter Tätigkeiten wird sich verändern. Zuhause arbeite ich fokussiert und konzentriert, im Büro sind es vorwiegend Gespräche mit Kollegen zur Abstimmung. Gleichzeitig muss sich aber die digitale Kommunikation mit denen, die remote arbeiten, herstellen.


Bild: Für das neue Office des Suhrkamp Verlags in Berlin haben Kinzo satte Farben und skandinavisches Flair gewählt, darunter der Akustikvorhang von Création Baumann, die Sitzbank aus Seekiefer ist eine Sonderanfertigung vom Tischler. © Sebastian Dörken

Welche Qualitäten muss das Unternehmens-Büro bei verstärkter Remote Work bieten?


MJ: Die Qualität des Büros muss hoch sein, damit die Leute ins Büro kommen. Für alle Büros, die keine wohnliche Atmosphäre haben, wird es schwierig, die Menschen aus dem Homeoffice zu ziehen. Es muss im Büro durch verstärkte Remote Work mehr Rückzugsbereiche geben, um auch Videoschaltkonferenzen abzuhalten, ohne meine Kollegen zu stören.

KE: In Zukunft wird man kein Gespräch nur mehr physisch führen, sondern immer auch digital. Dafür brauche ich natürlich einen Ort. Diese großformatigen Legebatterien mit Standard-Arbeitsplätzen brauchen wir nicht mehr. Das Büro wird viel stärker zum Kulturort. Wo sonst kann man Unternehmensidentität und die persönliche Identität zusammenbringen?


Bild unten: Für Hines in Berlin haben Kinzo mit Materialien wie amerikanischen Nussbaum und Messing gearbeitet, um dem Sitz des internationalen Immobilienunternehmens einen eleganten Touch zu verleihen. © Sebastian Dörken

Kinzo-Hines-3513_edit_w.jpg

Stichwort Kulturort: Auf welche Materialaspekte für Arbeitswelten wird man künftig besonderen Wert legen?


KE: Die Unternehmenskultur und Identität abzubilden und einen attraktiven Ort zu schaffen, den man gerne besucht und benutzt, ist natürlich auch immer mit einer Materialfrage verknüpft. Wenn durch die Angst vor einer Pandemie jetzt alles kühl, antiseptisch rüberkommt, dass man alles reinigen und durchkärchern kann, dann ist das vielleicht nicht der Ort, an dem sich die Mitarbeiter gerne treffen. Dann kann ich auch an einer Autobahnraststätte einen Treffpunkt einrichten.

MJ: Wir schauen uns erstmal die Mitarbeiter und die Firma an und welche Materialien zu ihnen passen. Das ist offen zu halten.

CM: Materialien, die einen Hospitality-Charakter haben, spielen eine große Rolle. Alles was eine gewisse Behaglichkeit ausstrahlt und einen Wohlfühlcharakter mitbringt, das wird nach wie vor attraktiver sein als eine reine Markendarstellung. Um die Leute ins Büro zu bekommen, muss ich eine Magnetwirkung erzeugen.

Welche sind solche Magnetmaterialien?

MJ: Was Pures, möglichst Massives, Natürliches. Selbst wenn es lackiert sein muss, sieht man nicht, dass es lackiert ist. Die Leute gieren nach Natürlichkeit, wollen drüber streichen. Holz, Stofflichkeit, Textilien, Stein – das sind so Magneten.

KE: Diese bringt man in Bereiche, wo man in physischen Kontakt mit ihnen kommt. Etwa am Tresen in der Küche oder in einer Nische, wo man eine weiche, flauschige Textiloberfläche hat. Dort schafft man haptische Erlebnisse, um eine Atmosphäre wahrzunehmen.


Mit welchen Materialien lassen sich spezielle „Duftmarken“ im Büro setzen?

KE: Wir haben bei einem Projekt einen Tresen aus Stampflehm gestaltet, der die Schichten im Querschnitt abbildet und wie eine Bodenprobe riecht. Das hat einen Impact auf das Raumklima und erzielt einen atmosphärischen Wandel.

CM: Was wir gerne verwenden, sind Materialien, die aus ausrangierten Wertstoffen wiedergewonnen werden. Für einen Sportartikelhersteller haben wir Skateboards und Turnschuhe zu einem Tresen recycelt. Wir arbeiten auch gerne mit diesen neuartigen Terrazzo-Kunststoff-Mischformen. Da hat man gleich eine Geschichte und es trägt zum Nachhaltigkeitsgedanken bei.


Bild: Marmor, Messing, mundgeblasenes Glas und feiner Samt: Die Ingredienzien für eine Besprechungsbox bei Hines. © Sebastian Dörken

Wie wichtig sind nachhaltige Materialien für die Bürogestaltung?

KE: Es gibt Projekte, die schon seit vielen Jahren die Zertifizierungsprozesse durchlaufen, ob das jetzt LEED, BREEAM oder DGNB ist. Das ist mittlerweile State-of-the-Art, weil die Drittverwertung daran geknüpft ist. Aber das Interior Design spielt da eine ziemlich untergeordnete Rolle. Der CO2-Einsparungs-Effekt, nachhaltige Materialien für Stühle zu verwenden, ist relativ gering im Vergleich dazu, wenn man in einen Altbau zieht. Es ist immer eine Frage von Verhältnismäßigkeit. Nachhaltiges Design sollte vielmehr sein als nur eine Spanplatte zu nutzen, die Cradle to Cradle zertifiziert ist.

MJ: Man merkt, dass die Industrie jetzt anfängt, nachzulegen. Durch Corona kommen Aspekte wie Reinigung und Antiseptik hinzu. Nachhaltigkeit wird noch stärker werden.


Bild unten: Im Suhrkamp Verlag sind alle Einbaumöbel mit dunkelblauem Stoff bezogen, während die lose Möblierung Primärfarben aufgreift. © Sebastian Dörken

Kinzo_suhrkamp-1973_edit_w.jpg

Blicken wir in die Zukunft: Welche Konzepte werden langfristig die Gestaltung von Arbeitsplätzen bestimmen?


CM: Ich denke, dass tendenziell die Flächen kleiner werden. Interaktions- und Kommunikationsflächen werden noch wertvoller gestaltet werden müssen, mehr Fokus auf digitale Kollaboration, auf Qualität und Attraktivität, um einen Grund zu haben, um sich zu treffen.



Kinzo

Rudi-Dutschke-Straße 26
10969 Berlin

» Mehr zum Unternehmen


Bild: Martin Jacobs, Karim El-Ishmawi und Chris Middleton sind geschäftsführende Inhaber des Innenarchitekturbüros Kinzo aus Berlin. © Sebastian Dörken



Dieses Interview führten Martina Metzner und raumprobe-Geschäftsführer Hannes Bäuerle im Rahmen des Trendmagazins Materialreport 2021.


Mehr zum Magazin finden Sie »hier

Entdecken Sie unser Online-Magazin!

Magazin
Instrumente des Lichts
Modular Lighting Instruments
Magazin
Materialreport 2021 - Trendcollage PLAY
Auf dem Spielfeld kann man seinem inneren Kind freien Lauf geben. Dieses Moment nutzen Forschende und Gestaltende schon seit einigen Jahren, um triste Büros ...