Bewegte Zeiten

Bewegte Zeiten

Treppauf, treppab

In Zeiten wie diesen können die Bewegungen, die über eine Treppe zurückgelegt werden, durchaus symbolisch verstanden werden. Deshalb möchte ich in dieser Kolumne, nicht nur Materialien vorstellen, die für Treppen Verwendung finden, sondern auch den symbolischen Charakter dieses architektonischen Elementes herausarbeiten. Eine Treppe darf als Bindeglied, als vertikale Brücke, verstanden werden. Sie dient einerseits der Überwindung von Höhenunterschieden – also werden Distanzen und Unzulänglichkeiten aufgehoben – , andererseits schafft sie die Verbindung dieser unterschiedlichen Niveaus und fördert Erreichbarkeiten. Während Außentreppen üblicherweise Höhenunterschiede zwischen Außenraum und Bauwerk überbrücken, erschließen Treppen im Innenraum übereinanderliegende Geschosse innerhalb eines Gebäudes. Sie sind das wichtigste Element der vertikalen Erschließung. Diese Rolle drückt sich auch in ihrer Ausgestaltung aus. Je nach Treppenlauf, Konstruktionsart und Materialzusammensetzung, wird einer Treppe eine wesentliche gestalterische Rolle in Architektur und Innenarchitektur beigemessen, die durch ihre Ausführungsmöglichkeiten eine unglaubliche Vielfalt erzeugen kann.

Wie ausschlaggebend der Materialeinsatz dabei ist, zeigt sich in bemerkenswerter Weise bei der skulpturalen Treppe, die Brückner & Brückner Architekten für den Neubau des Büro- und Verwaltungsgebäudes der global agierenden Ziegler Group entwickelt hat, deren Kerngeschäft die Holzverarbeitung ist. Folglich ist diese aus Eiche gefertigte, über drei Stockwerke aufsteigende Spindeltreppe, die von der Treppenbau.ch AG hergestellt wurde, zentrales und innenarchitektonisches Highlight des Projektes. Während die zentrale Spindel als hohles Rohr in Form von zwei Halbschalen aus Eichenschichten verleimt wurde, sind sämtliche Tritte und Steigungen der Treppe aus massivem Eichenholz gefertigt. Die Treppenwangen, die gleichzeitig die Aufgabe der Brüstung übernehmen, setzen sich aus eichenfurniertem Sperrholz zusammen, das mit Hilfe der Vakuumtechnik gebogen und verleimt worden ist. Das Projekt wurde im Materialpreis 2021 mit einer Auszeichnung in der Kategorie Material bedacht.

Mehr zum Projekt

Anderes Material, andere Konstruktion, andere Anmutung. Für die Treppen- und Metallbauenden von Spitzbart Treppen ist die sogenannte Schnittguttreppe „cut it!“ eine konsequente und perfekte Symbiose aus Konstruktion und Material. Das Besondere daran ist, dass die Treppe aus einem Stahlblech gefertigt und dann in die finale dreidimensionale Form gefaltet wird. Dazu wird mit Hilfe einer Großformat-Laserschneideanlage eine Schablone aus einem Stück Stahlblech geschnitten und in die endgültige Form gebogen. Um die Geräuschkulisse herkömmlicher Metalltreppen zu vermeiden, werden die bis zu 15 mm dicken Kanten der Stahltreppen fest verschweißt. Zum Einsatz kommt Schwarzstahl, das mehrfach ohne Qualitätsverluste recycelt werden kann. Seine lebendige und patinierte Anmutung hebt die Erscheinung der filigranen Stahlkonstruktionen hervor. Die Oberflächen sind in Stahl pur, farblos geölt und in individuell lackierten Farbtönen verfügbar.

Mehr zu Spitzbart Treppen

Zu den klassischen Treppenmaterialien wie Beton, Stahl, Glas und Holz, gehört natürlich auch Stein. Auch hier stehen den Treppenbauenden zahlreiche Möglichkeiten der Ausformulierung zur Verfügung: ob als Blockstufe (Ausführung als massiver Natursteinblock), Winkelstufe (beispielsweise aus Betonwerkstein) oder Trogstufe (hier handelt es sich um Stufen aus gekantetem Stahl, wannenähnlich, die mit Estrich, Gussasphalt oder Terrazzo gefüllt werden).

Unabhängig von der Konstruktion einer Treppe lässt sich diese natürlich auch mit textilen Bodenbelägen verkleiden, die mehr Geräusche absorbieren als jeder Hartbodenbelag. Wie in der Referenz dieses niederländischen Beratungsunternehmens, für das im Rahmen eines nachhaltigen Upgrade die Design-Teppichfliesen der FREESTILE Kollektion mit Move x Groove kombiniert werden, tragen beide Produkte aus dem Hause Object Carpet maßgeblich zur angenehmen Raumakustik bei. Durch den Einsatz der Schlingenkonstruktion aus 100 % Econyl, die in 19 unterschiedlichen Farbstellungen verfügbar ist, wird auf der Treppe außerdem eine erhebliche Reduzierung des Trittschalls erzielt. Um die schalldämmende Wirkung weiter zu steigern, hat Object Carpet die spezielle Rückenausrüstung WELLTEX Akustik Plus entwickelt, die die Nachhallzeit um bis zu 40 % im Vergleich zu Hartbodenbelägen senkt. Der Trittschall wird um bis zu 40 dB reduziert. Neben der Polstrichlage, die hier immer von oben nach unten verlaufen muss, gilt es beim Einsatz an Treppenkanten immer darauf zu achten, die Polnoppenreihen rechtwinklig zur Treppenkante anzuordnen. Zudem müssen Treppenkanten einen Radius von mindestens 10 mm aufweisen.

Mehr zu Object Carpet

Seit jeher übernehmen Treppen aber nicht nur rein infrastrukturelle Aufgaben, sondern schaffen auch identifikationsstiftende Aufenthaltsorte. In Stuttgart zeugen nicht nur die vielen Stäffele und die Freitreppe am Kleinen Schlossplatz davon, auch unsere Materialwelt wird durch eine beeindruckende Treppenanlage – unserer Arenatreppe – geprägt. Gefertigt von Schotten & Hansen aus dem oberbayrischen Peiting beeindruckt sie durch ihren besonderen Farbverlauf. Die Treppe besteht aus einem Dreischichtaufbau, der es der Manufaktur ermöglicht exakt aufeinander abgestimmte Material-, Farb- und Oberflächen zu generieren. Die feine Farbabstimmung der 4,5 mm starken Nutzschicht aus regionaler oder europäischer Eiche gelingt durch altbewährte Prozesse wie Räuchern und die Einarbeitung feinster, natürlicher Pigmente, die aus Steinen und Erden gewonnen werden. Es werden also keine vorgefertigten Farben aufgebracht. Geschützt wird die Oberfläche durch eine Schicht aus Harzen, Wachsen und Ölen, die tiefgründig ins Holz eindringen. Die Oberfläche kann also immer wieder nachgebessert werden, ohne jemals geschliffen werden zu müssen. Erst durch die Patina entsteht die Einzigartigkeit der Holzoberfläche, die auch in unseren Räumen begutachtet werden kann.

Mehr zu Schotten & Hansen

Seit einigen Jahren fällt auf, dass Arenatreppen wie unsere immer häufiger in Arbeitswelten zu finden sind. Hier fungieren sie meist als repräsentative Veranstaltungsfläche, informeller Treffpunkt und multifunktionaler Begegnungsort. Sie fördern vor allem die Kommunikation, den Austausch, das Wir-Gefühl untereinander. Arenatreppen dieser Erde vereinigt Euch und bietet Raum zur interkulturellen, gesellschaftlichen Verständigung.


Jörg Schmitt


Innenarchitekt Jörg Schmitt ist seit 2013 als Projektleiter für den Materialpreis zuständig. Mit seiner Zuständigkeit für Art Direktion, Öffentlichkeitsarbeit und Homepage, wendet er sich zudem mit dem Materialnewsletter an die zahlreichen Mitglieder und Interessierten von raumprobe und führt Besuchergruppen durch die Materialwelt. Darüber hinaus ist der Innenarchitekt auch beratend tätig.

Entdecken Sie weitere Magazinbeiträge!

Magazin
Ein Kratzer kommt selten allein
Küche
Magazin
Nachhaltigkeit – das neue Normal?
Nachhaltigkeit und Leichtbau
Magazin
So rest your head
Ruhe Dich aus und spüre die Stille
Magazin
Alte Handwerkskunst: Sattlern & Polstern
Materialakademie: königherz