Radikaler Leichtbau und umfassende Wiederverwendung

Radikaler Leichtbau und umfassende Wiederverwendung

Interview mit Roland Bechmann von Werner Sobek

Sowohl als Gewinner als auch in der Jury durfte raumprobe das Unternehmen Werner Sobek im Zuge des Materialpreis bereits begrüßen. Der renommierte Architekt und Ingenieur Werner Sobek aus Stuttgart ist Namensgeber des weltweit erfolgreichen und innovativen Unternehmens, das von vier Vorständen geleitet wird. Wir sprachen mit einem von ihnen, nämlich mit dem Bauingenieur Roland Bechmann. Er leitet die Wettbewerbsabteilung von Werner Sobek. Headerbild © Rainer Viertlboeck

Werner Sobek stammt aus der Architektenhochburg Stuttgart. Dort wurden in der Weißenhofsiedlung bereits im Jahr 1927 verschiedene Entwürfe für damals zukünftiges Bauen und Wohnen gezeigt. Ihr habt dort im Jahr 2014 das erste Aktivhaus der Welt, das B10, präsentiert. Was war die Besonderheit des Projekts und was ist aus dem Projekt heute geworden?

B10 ist eines der Experimentalhäuser, die wir in regelmäßigen Abständen als Innovationstreiber errichten, um neue Materialien, Konstruktionen und Technologien zu erforschen. Dank eines ausgeklügelten Energiekonzepts und einer selbstlernenden Gebäudesteuerung erzeugte B10 das Doppelte seines Energiebedarfs aus nachhaltigen Quellen. Mit dem Energieüberschuss wurde das benachbarte Weissenhof-Museum versorgt – der (energetisch) starke Neubau versorgte so den denkmalgeschützten Altbau.

B10 sollte aber nicht nur emissionsfrei sein, sondern auch voll rezyklierbar. Wir haben deshalb besonders sorgfältig darauf geachtet, welche Materialien in welcher Form verbaut wurden. Die Fassade besteht z.B. aus einer Textilverkleidung, die als Rahmenkonstruktion vor den Unterbau aus Holz gesetzt wurde. Wichtig war, dass alle Verbindungen sortenrein voneinander lösbar waren. Alle Materialien wurden deshalb nur gesteckt, geschraubt oder magnetisch gehalten.

Wegen des Denkmalschutzes durfte unser Projekt nur für eine Zeit von maximal fünf Jahren in der Weißenhofsiedlung stehen. Im Sommer 2019 haben wir es deshalb mit einem Kran auf einen Tieflader gehoben und zurück zum Hersteller auf der Schwäbischen Alb transportieren lassen. Dort ist B10 jetzt das neue Empfangsgebäude. Wir freuen uns, dass so weiterhin eine sinnvolle Nutzung unseres Experimentalgebäudes gewährleistet ist. Bilder links und unten © Zooey Braun

B10 - Copyright Zooey Braun, Stuttgart (2)_komp.jpg

Mit dem Thyssen Krupp Testturm in Rottweil ist Euch nicht nur in Sachen Ingenieurskunst eine Meisterleistung gelungen. Auch für das Design und den Materialeinsatz hat das Bauwerk viel Lob bekommen. Könnt Ihr uns hierzu mehr erzählen?

Der ThyssenKrupp Testturm in Rottweil hat nicht nur die höchste Besucherplattform Deutschlands – er ist auch das höchste textilverkleidete Gebäude der Welt! Uns war es wichtig, dass der Turm nicht nur in Bezug auf sein Tragwerk optimal geplant wird. Es war immer klar, dass in der wunderschönen Landschaft rund um eine von Baden-Württembergs ältesten Städten kein reiner Zweckbau stehen darf – insbesondere wenn er so weit sichtbar ist. Die textile Gebäudehülle verwandelt den Turm in eine Skulptur in der Landschaft. Die Hülle ist aber auch wichtiger Bestandteil des Nachhaltigkeitskonzepts. Durch die spezielle Geometrie der filigranen Stoffhülle werden durch den Wind induzierte Querschwingungen deutlich reduziert. Durch die spiralförmige Anordnung entsteht eine sogenannte Scruton-Wendel. Diese beeinflusst die Wirbelablösung am Turm. Die textile Verkleidung bietet darüber hinaus auch noch einen Witterungsschutz. Sie verschattet die Betonstruktur und reduziert so die durch Sonneneinstrahlung induzierten, teilweise erheblichen Spannungen. Diese positiven Einwirkungen erlaubten es uns, wichtige Einsparungen bei der Menge des verwendeten Stahls und Betons zu machen. Bild rechts © Rainer Viertlboeck. Bild unten © Detlef Berndt

TKT - Detlef Berndt, Zimmern_komp.jpg

Das Unternehmen legt sehr viel Wert darauf zukunftsorientiert zu bauen und zu handeln. Wie steht Ihr zum Thema Rückbesinnung, also natürliche Materialien und Prozesse zu verwenden? Ist das eine fortschrittliche Herangehensweise im Bereich Architektur?


Natürliche Materialien wie Holz oder Lehm sind nicht nur gut rezyklierbar, sondern haben auch gute haptische und bauphysikalische Eigenschaften (vorausgesetzt, sie sind auch wirklich noch in ihrem natürlichen Zustand). Zudem fallen bei der Herstellung dieser Materialien wenig bis keine grauen Emissionen an, Holz fungiert in der Regel sogar als CO2-Speicher. Insofern verwenden wir diese Materialien gerne und oft in unseren Projekten. Aber: Wir können nicht unsere gesamte gebaute Umwelt nur mit solchen natürlichen Materialien gestalten. Unterschiedliche Anforderungen wie Bauakustik, Flexibilität, Wasserdichtigkeit etc., aber auch die tatsächliche Verfügbarkeit, erfordern weiterhin den Einsatz von Materialien wie Stahl und Beton.

Es wird deshalb auch in Zukunft sicher nicht ohne andere Materialien wie z.B. Beton gehen. Aber auch bei diesen Materialien kommt es darauf an, sie so einzusetzen, dass sie sortenrein trennbar und damit rezyklierbar sind und rückstandsfrei in biologische oder technische Kreisläufe zurückgeführt werden können. Genauso wichtig ist es aber auch die grauen Emissionen, also die klimaschädlichen Gase, die bei der Herstellung der Materialien und dem Bauprozess selbst entstehen, zu reduzieren. Hier gibt es noch viel Verbesserungspotential, welches sich oft nur in Zusammenarbeit zwischen Planern und Herstellern heben lässt.

Werner Sobek möchte sowohl Emissionserzeugung als auch Materialeinsatz minimieren. Gibt es in Euren Augen ein überflüssiges Material? Gilt für euch immer der Grundsatz Weniger ist Mehr?



Unser Ziel ist es, für mehr Menschen emissionsfrei mit weniger Materialien zu bauen. Angesichts der immer noch wachsenden Weltbevölkerung und des global steigenden Wohlstands müssen wir mehr bauen. Hierbei dürfen wir aber nicht unsere natürliche Umwelt noch stärker zerstören, als dies bisher schon der Fall ist. Radikaler Leichtbau und umfassende Wiederverwendung von Baumaterialien sind deshalb das Gebot der Stunde.



Mercedes-Benz Museum, Stuttgart. Bild © Brigida Gonzales

Bilder © Stephan Falk

In dem Projekt Nest-Unit Umar zeigt Ihr eine große Materialvielfalt. Wie geht das mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit zusammen?

Materialvielfalt steht doch nicht im Widerspruch zur Nachhaltigkeit, ganz im Gegenteil! Wichtig ist es, jedes Material so einzusetzen, dass es seine jeweiligen Stärken ideal ausspielen kann. Je nach funktionalem und geographischem Kontext können deshalb sehr unterschiedliche Materialien angemessen und richtig im Sinne einer umfassenden Nachhaltigkeit sein. Unser Ziel bei Umar war es zu zeigen, wie ansprechend man bereits heute mit Materialien bauen kann, die aus Abfall gewonnen wurden. Für viele sind Produkte aus Recyclingprozessen immer noch mit einem Makel behaftet. Dagegen wollten wir mit unserem Experimentalbau ankämpfen. Bilder rechts und unten © Zooey Braun

NEST - Copyright Zooey Braun, Stuttgart_komp.jpg

Triple Zero ist ein von Werner Sobek eigens entwickeltes Konzept zum Thema Nachhaltigkeit. Was hat es damit auf sich und wie setzt Ihr das in Euren eigenen Projekten um?

Nachhaltigkeit ist unsere Triebfeder. Unser Firmengründer Werner Sobek hat dies schon sehr früh in der Triple Zero Strategie verankert: Zero Energy, Zero Emissions, Zero Waste. Ein Gebäude sollte nicht mehr Energie verbrauchen, als es selbst aus nachhaltigen Quellen erzeugt (Zero Energy). Es sollte keine für Umwelt oder Nutzer schädlichen Emissionen erzeugen (Zero Emissions). Und es sollte am Ende seines Lebenszyklus rückstandsfrei in den Stoffkreislauf zurückführbar sein (Zero Waste).

Unser Ziel ist eine gebaute Umwelt, die atemberaubend schön ist und die gleichzeitig den Interessen kommender Generationen gerecht wird. Wir wollen für mehr Menschen emissionsfrei und mit weniger Material bauen. Die Arbeiten von Werner Sobek zeichnen sich deshalb durch hochklassige Gestaltung, innovative konstruktive Lösungen und integrale Konzepte zur Minimierung von Energie- und Materialverbrauch aus.

Triple Zero ist eine Zieldefinition, eine Maxime. Wir streben danach, können sie aber natürlich noch nicht bei allen Bauwerken erreichen. Wir ebenso wie die Architekten sind ja nur ein kleiner Teil all derjenigen, die zur Nachhaltigkeit eines Gebäudes beitragen – Produkthersteller, Baufirmen, Gesetzgeber und Bauherren tragen eine ebenso große Verantwortung. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Veränderung des Bauwesens.

Ingenieurskunst aus dem Hause Werner Sobek für das Bauprojekt Stuttgart21

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Bild © Werner Sobek
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Bild © Werner Sobek
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Bild © Achim Birnbaum
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Bild © Peter Wels
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Bild © Ingenhoven Architekten
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Nach 26 Jahren der Leitung des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universität Stuttgart, hat Werner Sobek den Lehrstuhl im April 2020 abgegeben. Welche Bedeutung hat es für Euch, dass der Nachfolger auch Vorstand der Werner Sobek AG ist?

Ich freue mich sehr, dass mein Kollege Lucio Blandini den Ruf als Nachfolger von Prof. Sobek an die Universität Stuttgart erhalten hat. Natürlich wird er nun nur noch mit einem stark reduzierten Stundendeputat bei uns im Unternehmen mitwirken können. Wir sind uns aber sicher, dass die Nähe zu Forschung und Lehre wichtige Impulse für unser Unternehmen bringen kann. Einige unserer besten Mitarbeiter haben am ILEK studiert oder promoviert. Wir freuen uns deshalb, wenn die enge Verbindung zur Universität Stuttgart auch auf diese Weise aufrechterhalten und gestärkt wird.

Material, das Ihr braucht:

Wir brauchen Baustoffe, die sich zu 100 Prozent in biologische oder technische Kreisläufe zurückführen lassen. Welches Material das im Einzelnen ist, hängt stark vom Kontext ab.

Material, das Euch bewegt:

Jedes Material, das nachhaltig und gleichzeitig atemberaubend schön ist.

Material, von dem Ihr träumt:

Ein Material, das wir lokal gewinnen, verwenden und rezyklieren können – und das die positiven Eigenschaften von Stahl, Glas, Holz und Beton miteinander vereint. Bild © René Müller

Das Unternehmen Werner Sobek, gegründet 1992 von Prof. Dr. Dr. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek, steht weltweit für Engineering, Design und Nachhaltigkeit. Mit rund 350 Mitarbeitern agiert das Unternehmen weltweit und legt dabei den Schwerpunkt auf den Entwurf und die Planung von Tragwerk, Fassade und Technischer Gebäudeausrüstung (TGA) sowie auf der bauphysikalischen Beratung. Hierbei zeichnen sich die Arbeiten durch innovative Konstruktion, wertvolle Gestaltung und Konzepte zur Minimierung von Emissionserzeugung aus.

Die Personen dahinter sind: Mehr als 350 Mitarbeiter, die alle einen wichtigen Beitrag zum Erfolg unseres Unternehmens leisten.

Die Produkte: Dienstleistungen im Bauwesen, das heißt die Planung von Tragwerken, Fassaden und TGA ebenso wie die bauphysikalische Beratung.

Roland Bechmann, Vorstand der Werner Sobek AG. Bild © René Müller

Werner Sobek AG

Albstraße 14 
70597 Stuttgart 
Deutschland

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